Nuri Sahin war mit 16 viel weiter als ich

November 2024 · 8 minute read

Kosi Saka, Sie begannen Ihre Kar­riere als Neun­jäh­riger beim SV Gad­der­baum Bie­le­feld. Eigent­lich recht spät, um mit dem Fuß­ball anzu­fangen.

Kosi Saka: Das stimmt. Ich hatte aller­dings schon oft in der Schule oder auf dem Bolz­platz mit Freunden gekickt. Eines Tages stand dann ein Jugend­trainer vom SV Gad­der­baum am Rand und sagte mir, dass er mich gerne in seiner Mann­schaft auf­nehmen möchte.

Kurze Zeit später wurden Sie Jugend­spieler von Arminia Bie­le­feld, am Hori­zont glänzte der glamo­röse Bun­des­li­ga­fuß­balls. Ihre Familie lebte aller­dings noch auf Asyl in Bie­le­feld. Eine para­doxe Situa­tion.

Kosi Saka: Meine Familie hatte damals noch keine Auf­ent­halts­ge­neh­mi­gung, das stimmt. Wir hatten also die große Befürch­tung, dass wir heute oder morgen nach Afrika abge­schoben werden. Aller­dings hat uns Arminia in dieser Zeit sehr unter­stützt. Man half meinen Eltern bei der Arbeits­suche, küm­merte sich um das Asyl. Dafür bin ich dem Verein heute noch sehr dankbar.

Im Jahr 2000, Sie waren 14, sind Sie in die Jugend­ab­tei­lung von Borussia Dort­mund gewech­selt. Welche Erin­ne­rungen haben Sie an diese Zeit?

Kosi Saka: Ich habe dort sehr viel gelernt und meine ersten Erfah­rungen gemacht. Mit vielen meiner frü­heren Mit­spie­lern aus Jugend­zeiten stehe ich heute noch Kon­takt. Marc-Andre Kruska, heurte Kapitän von Energie Cottbus, Mehmet Akgün und auch Uwe Hüne­meier. Es macht mir Spaß zu sehen, wie sich die Jungs weiter ent­wi­ckeln. Viele packen es, viele packen es nicht. Vor drei Jahren sah es so aus, als hätte ich es geschafft – und heute? Heute sieht es ganz anders aus.

2003 debü­tierten Sie bei den BVB-Ama­teuren, und am 19. November 2005 machten Sie gegen Hertha BSC Ihr erstes Bun­des­li­ga­spiel. Was war das für ein Gefühl, mit 19 in der Bun­des­liga zu spielen?

Kosi Saka: Ganz ehr­lich: Ich hatte gedacht, ich würde es mit 18 packen. (lacht) Einige Tage vor jenem 13. Spieltag der Saison 2005/06 rief mich der BVB-Jugend­ko­or­di­nator Eddy Boe­kamp an und sagte, dass ich bei den Profis trai­nieren sollte. Im Trai­nings­spiel A- gegen B‑Elf gewannen wir mit der B- Mann­schaft 4:0 – und ich schoss alle vier Tore. Gegen Hertha BSC wurde ich dann beim Stand von 2:0 ein­ge­wech­selt. Viel konnte ich also nicht mehr falsch machen. (lacht)

Über 70.000 im West­fa­len­sta­dion, der große Bun­des­liga-Zirkus, die Lichter der Kameras: Schlot­terten Ihnen nicht die Knie?

Kosi Saka: Man nimmt das nicht wahr. Ich stand jeden­falls an der Sei­ten­linie und hörte nichts. Kurz vor meiner Ein­wechs­lung bekam ich trotzdem zitt­rige Hände, ein selt­sames Bauch­ge­fühl. Dann fühlte sich der Ball auf einmal schwerer an, und ja, auch die Beine schlot­terten. Und den­noch: Es war ein unbe­schreib­li­ches Gefühl. Wenn ich an diese Ein­wechs­lung zurück­denke, bekomme ich noch heute eine Gän­se­haut.

Wie haben Sie die Zeit unter Bert van Mar­wijk erlebt?

Kosi Saka: Ich bin froh, dass Bert van Mar­wijk mein erster Pro­fi­trainer war. Er hat seine ganz eigene, spe­zi­elle Phi­lo­so­phie vom Fuß­ball. So legt er viel Wert auf Kurz­pass­spiel und achtet auf Klei­nig­keiten. Ein Trainer der abso­luten Spit­zen­klasse, was er momentan auch bei der nie­der­län­di­schen Natio­nal­mann­schaft unter Beweis stellt.

Was ver­bindet Sie heute mit dem BVB und der Stadt Dort­mund?

Kosi Saka: Ich bin mit 14 Jahren nach Dort­mund gezogen und habe erst hier meine ersten rich­tigen Freunde ken­nen­ge­lernt, mit denen ich heute noch befreundet bin. Mit der Stadt bin ich mitt­ler­weile tief ver­wur­zelt, Dort­mund ist meine Heimat geworden. Ich möchte hier nicht mehr weg.

Wie kam es dann zum Wechsel zum Ham­burger SV?

Kosi Saka: Durch meine regel­mä­ßigen Ein­satz­zeiten bei den BVB-Profis und kon­stant guten Leis­tungen, sind einige Ver­eine auf mich auf­merksam geworden. Neben dem HSV auch die TSG Hof­fen­heim, Han­nover 96 und Arminia Bie­le­feld. In jener Zeit hatte ich Dif­fe­renzen mit dem neuen BVB-Trainer Thomas Doll. Für mich war er kein ehr­li­cher Mensch. Sagte er zu Beginn der Woche, wie gut ich im Trai­ning sei, und dass er mich nomi­nieren würde, sah ich meinen Namen don­ners­tags nie auf der Kader­liste. Ich wollte nur weg von ihm. Zu der Zeit hat sich der Ham­burger SV – in Person von Dietmar Bei­ers­dorfer – sehr intensiv um mich bemüht. Der Klub bot mir einen lang­fris­tigen Ver­trag und eine gute sport­liche Per­spek­tive. So ent­schied ich mich für einen Wechsel.

Beim HSV standen Sie zwei Jahre unter Ver­trag, hatten in dieser Zeit aller­dings keinen Ein­satz in der Bun­des­li­ga­mann­schaft. Bereuen Sie den Wechsel nach Ham­burg?

Kosi Saka: Wenn ich ehr­lich bin: Ja. Ich hatte einige Start­schwie­rig­keiten, ich brauchte Zeit, auch Ver­trauen, denn es war alles neu. Beim BVB bin ich zum Trai­ning gekommen, habe mir wenig Gedanken gemacht, und ein­fach trai­niert. Beim HSV war das anders: Es sollte mein großer Kar­rie­re­schritt werden, ich wollte den Durch­bruch schaffen und Stamm­spieler werden. Zu der Zeit habe ich mich sehr unter Druck gesetzt.

War die Kon­kur­renz­si­tua­tion anders?

Kosi Saka: Durchaus. Wenn beim BVB Chris­toph Met­zelder oder Philipp Degen ver­letzt oder gesperrt waren, warst du als Nach­wuchs­spieler im Kopf des Trai­ners. Dem HSV war­teten auf der rechten Abwehr­seite Guy Demel, Jerome Boateng oder auch Collin Ben­jamin auf ihren Ein­satz – ich war nur der vierte Mann.

Haben Sie trotz der sport­li­chen Ent­täu­schung auch Posi­tives aus der Zeit mit­ge­nommen?

Kosi Saka: Fernab vom Fuß­ball hatte ich in Ham­burg eine schöne Zeit. Ich habe viele Men­schen ken­nen­ge­lernt und heute noch etliche gute Freunde dort. Zudem habe ich mich in Ham­burg mensch­lich wei­ter­ent­wi­ckelt. Auch weil ich gemerkt habe, dass es nicht immer nur bergauf geht. Und weil ich gelernt habe, dass Talent allein nicht aus­reicht.

Als Ihr Ver­trag 2009 beim HSV nicht ver­län­gert wurde, waren Sie ein halbes Jahr ver­einslos. Wie war das?

Kosi Saka: Schreck­lich. Seit meinem 14. Lebens­jahr war ich es gewohnt, dass ich mit Fuß­ball Geld ver­diene. Ich hatte an jedem Monats­be­ginn Geld auf dem Konto und auf einmal kam nichts mehr. Es war eine der schlimmsten Zeiten meines Lebens. Zumal ich nie ein Mensch war, der viel gespart hat.

Sie waren arbeitslos.

Kosi Saka: Und ich bekam Briefe vom Arbeitsamt, um die ich mich zunächst gar nicht geküm­mert habe. Ich war mir stets sicher, dass ich einen neuen Verein finde. Bei­nahe hätte ich in der Türkei bei Trab­zon­spor unter­schrieben. Die wollten mich unbe­dingt haben. Auch der SC Frei­burg hatte Inter­esse an mir. Doch dann haben sich die beiden Ver­eine für andere Spieler ent­schieden.

Hatten Sie Exis­tenz­ängste?

Kosi Saka: Auf jeden Fall. Das große Pro­blem war, dass ich auf vieles ver­zichten musste, weil ich kein Ein­kommen mehr hatte. Sorgen, dass ich nie wieder einen Verein bekomme, hatte ich aller­dings nicht. Und doch bedrückte es mich, wenn Men­schen mich auf der Straße erkannten und fragten, wo ich spiele. Auch heute ist das so. Da wird mir unwohl, wenn ich sagen muss: In der 6. Liga.“ Es ist ein selt­sames Gefühl, wenn ich mir vor­stelle, was die denken: Da ist der Saka, der mal ganz oben war und nun sehr tief gesunken ist.“ Manchmal tut das weh.

Wer hat Sie unter­stützt, als Sie ver­einslos waren?

Kosi Saka: In der Zeit habe ich viel Geld aus­ge­geben – mehr als da war. Glück­li­cher­weise hatte ich Freunde und meine Familie, die mich unter­stützen. All die Jungs, mit denen ich früher Fuß­ball gespielt habe, waren für mich da. Das werde ich nie ver­gessen.

Wie schätzten die Freunde Ihre Lage ein?

Kosi Saka: Sie spra­chen mir Mut zu, sagten mir, dass ich besser bin als die meisten. Aber gleich­zeitig sagten sie auch, dass es nicht jeder packt. So ist das im Leben. Schon in der Jugend wurde uns das immer wieder gesagt. Nur, weil man besser ist als die anderen, muss das nicht bedeuten, dass man es packt. Man ist viel­leicht talen­tierter als die meisten, aber even­tuell ist der andere im Kopf viel weiter als du. Das ist ent­schei­dend.

Im Moment spielen Sie in der Nie­der­rhein­liga beim KFC Uer­dingen – weit weg von der Bun­des­liga. Ein Außen­ste­hender würde Ihre Kar­riere als geschei­tert“ bezeichnen. Würden Sie wider­spre­chen?

Kosi Saka: Auf jeden Fall. Als ich das Angebot vom KFC ange­nommen habe, hatte ich auch Ange­bote aus der Zweiten und Dritten Liga. Sechste Liga, das klingt natür­lich ganz anders. Aber als ich Prä­si­dent Agis­silaos Lakis“ Kourk­ou­dialos zum ersten Mal getroffen habe, sagte er mir, was er mit dem KFC vorhat. Er hat ein Kon­zept für die nächsten Jahre, wel­ches den Auf­stieg in höhere Spiel­klassen beinhaltet. 

Den­noch ist die Fall­höhe enorm: Sie spielten vor 70.000 im West­fa­len­sta­dion und heute für KFC Uer­dingen in der 6. Liga. Wenn Sie heute auf Ihre bis­he­rige Fuß­ball­kar­riere bli­cken: Was ist schief gelaufen?

Kosi Saka: Vom Talent her war ich meinem Alter weit voraus, aber ich habe viele andere Sachen im Kopf gehabt. Ich bin ein sehr fröh­li­cher Mensch und ein Pro­blem war es oft, die nötige Ernst­haf­tig­keit an den Tag zu legen. Trainer konnten mich daher nicht richtig ein­schätzen. Sie sahen mich grin­send auf der Bank und dachten, dass ich mit meiner Situa­tion glück­lich bin. Und das war viel­leicht der Fehler. Beim HSV kannten mich der Trainer und die Mit­spieler nicht. Ich hatte schnell den Ruf, dass ich die Dinge nicht ernst nehme. Letzt­end­lich muss man sagen, dass ein Nuri Sahin mit 16 viel weiter als ich war.

2008 haben Sie bei der WM-Qua­li­fi­ka­tion zwei Mal für Kongo gespielt. Wie war das?

Kosi Saka: Ich wäre auch für Deutsch­land auf­ge­laufen, denn ich fühle mich als Deut­scher – doch mit dem deut­schen Pass hat es leider nie geklappt. Trotzdem waren die Spiele für Kongo der Wahninn! Wenn man die Chance hat, für sein Land zu spielen, darf man sich das nicht ent­gehen lassen.

Bei Uer­dingen haben Sie ein halbes Jahr mit Ailton gespielt. Wie haben Sie ihn erlebt?

Kosi Saka: Toni ist ein sehr lus­tiger, ehr­li­cher und herz­li­cher Mensch. Ein guter Freund, mit dem wir beim KFC schöne Zeiten hatten. Hier war viel Trubel in der Zeit. Wir haben viel gemeinsam unter­nommen. Wir waren gemeinsam essen, sind abends aus­ge­gangen. Ich habe noch heute Kon­takt zu ihm.

Kosi Saka, was sind Ihre lang­fris­tigen Ziele?

Kosi Saka: Wieder da hin­zu­kommen, wo ich war. Im besten Fall in Uer­dingen und mit dem Prä­si­denten Lakis. Ich glaube auch, dass wir diese Saison auf­steigen können. Und wenn wir das schaffen, dann werden wir in drei bis vier Jahren in den Pro­fi­fuß­ball kommen.

ncG1vNJzZmhpYZu%2FpsHNnZxnnJVkrrPAyKScpWeeqr%2BqedKan6KmXayus3nMoqtmaWZiw6qxy2aunqGkmr9urcusZKKbmGSCeIGTbG8%3D